Offener Brief an OB Henriette Reker

Köln, 4. Mai 2016
Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,

das Jahr 2016 hat für die Stadt Köln nicht gut angefangen. Die Übergriffe und Gewalttaten in der Silvesternacht versetzten die Stadt in Aufruhr und prägten das mediale Bild von Köln in aller Welt. Wir autonomen Kölner Frauenorganisationen des Bündnisses LILA IN KÖLN, die zum Teil seit Jahrzehnten zu (sexualisierter) Gewalt an Mädchen und Frauen arbeiten, sind selbstverständlich sofort aktiv geworden. Über viele Wochen hinweg haben wir Unmengen von zusätzlichen Beratungs- und Gesprächsanfragen aufgefangen und in einem bisher noch nie dagewesenen Umfang Presseanfragen aus aller Welt beantwortet, um aktiv an einer Versachlichung der Nach-Silvester-Debatte mitzuwirken. Zur Unterstützung dessen haben wir bereits am 12.1. eine gemeinsame Stellungnahme verfasst und veröffentlicht (siehe www.lila-in-koeln.de). Darüber hinaus wurden zeitnah öffentlichkeitswirksame Aktionen und Demonstrationen, wie z.B. am 14.2. die Kölner Veranstaltung zum weltweiten Protesttag ONE BILLION RISING (www.onebillionrising-koeln.de) auf dem Bahnhofsvorplatz organisiert, um ein klares Zeichen aus Köln in die Welt zu schicken. Und natürlich haben wir uns auch über Karneval an diversen Aktionen beteiligt und unsere regulären Angebote aufgestockt.
Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist in Köln schon lange ein großes Thema. So ist unsere Stadt seit vielen Jahren mit an der Spitze der bundesweiten Kriminalstatistik zu finden, betrachtet man die Anzeigen bei Vergewaltigungen und schweren sexuellen Nötigungen. Das führte bereits im Jahr 2000 zu der einstimmig verabschiedeten Ratsresolution „Keine Toleranz für Gewalt gegen Frauen“, die fraktionsübergreifend von 33 Ratsfrauen eingebracht wurde. Darin hieß es u.a.: „Keine Toleranz für Männergewalt an Frauen in Köln! In Köln sollte ein Klima geschaffen werden, in dem Gewalt an Mädchen und Frauen geächtet wird.“

Seitdem ist zwar einiges, aber leider nicht genug passiert, um Köln zu einer Stadt zu machen, in der sich Frauen und Mädchen sicher und geschützt fühlen können. Die Silvesternacht war ein deutliches Zeichen dafür.
Wir fordern heute, dass die aktuelle Aufmerksamkeit und Sensibilität für das Thema Gewalt gegen Frauen und Mädchen genutzt wird, um es mit all seiner Vielschichtigkeit zu bearbeiten und nachhaltige Konzepte für Köln zu entwickeln.

Dieses Thema ernst zu nehmen und voranzutreiben ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der nicht zuletzt Sie als Oberbürgermeisterin dieser Stadt eine wichtige Rolle spielen!

Es ist allerhöchste Zeit, dass eine andere Auseinandersetzung mit dem Thema Gewalt gegen Mädchen und Frauen stattfindet – auch und gerade in der Stadtspitze!

Was wir NICHT mehr wollen:
– Beschwichtigungen, hilflos wirkende Stellungnahmen und Lippenbekenntnisse aus Politik und Behörden, wenn mal wieder etwas passiert ist, das durch die Medien geht.
– Kurzfristige, nicht ausreichend durchdachte Aktionen, wie z.B. den „Security Point“ an Karneval.

Was wir wollen:
– Wir fordern zeitnah ein erstes Stadtgespräch zur Sicherheit von Frauen und Mädchen in Köln. Wir sind gerne bereit, unser Fachwissen und unsere Erfahrung konzeptionell einzubringen. Kommunikation und Kooperation sind wesentliche Pfeiler für Veränderungen!
– Ein Konzept für eine sichere Stadt für Mädchen und Frauen, in das alle gesellschaftlichen Kräfte eingebunden sind und ihren Teil der Verantwortung übernehmen: Politik, Verwaltung, Institutionen und Vereine, Polizei etc. – und auch die Bürgerinnen und Bürger.
-Verlässliche Freigabe von Kapazitäten (personell und finanziell), um die Beteiligten zu koordinieren sowie nachhaltige Vorgehensweisen erarbeiten und auf feste Füße stellen zu können.

Ihre Entscheidung, am Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen (25.11.) nun doch ein klares Zeichen zu setzen und das Rathaus mit der Fahne „Frei leben ohne Gewalt“ von Terre des Femmes zu beflaggen, begrüßen wir in diesem Zusammenhang sehr!

Lassen Sie uns zusammenstehen und gemeinsam das Signal in die Welt schicken: Schluss mit Gewalt gegen Mädchen und Frauen, unabhängig von ihrer Herkunft, ihrer Religion, ihrer sexuellen Orientierung, ihres Aufenthalts- oder ihres sozialen Status – hier in Köln und überall!

Mit freundlich-feministischen Grüßen
Irmgard Kopetzky und Frauke Mahr
für LILA IN KÖLN – Bündnis autonomer Frauenprojekte gegen Gewalt an Frauen und Mädchen

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